Coachingbericht zum Thema
-Sucht und Co-Abhängigkeit-
ihres mittleren Sohnes sprachen.
Morgen höre ich auf...
Der Coachingverlauf: In den ersten zwei Sitzungen ging es erst einmal nur darum, dass Gabi und Peter Gelegenheit bekamen, ihr Herz auszuschütten. Beide waren sehr aufgewühlt und fühlten sich zunehmend überfordert und verzweifelt und der Sucht ihres Sohnes hilflos ausgeliefert. Trotzdem konnten sie (insbesondere Gabi) nicht damit aufhören, Jonas immer neue Hilfsangebote zu unterbreiten oder ihn hinsichtlich seiner alltäglichen Lebensführung zu „unterstützen“. Als ich die beiden fragte, was ihrer Meinung nach passieren würde, wenn sie jegliche Hilfe einstellen würden, brach Gabi in Tränen aus und antwortete: „Dann ist er verloren und wird früher oder später am Alkohol sterben!“ Peter zuckte nur mit den Schultern und antwortete nicht.
Beispielhafte Coaching-Intervention: Gabi und Peter bekamen eine Hausaufgabe von mir gestellt: Beide sollten (unabhängig voneinander) tabellarisch auflisten, was sie in der Vergangenheit alles unternommen hatten, um ihren Sohn von seiner Sucht abzubringen. Danach sollten sie die Wirksamkeit ihrer Aktionen innerhalb eines Rankings von 1 – 10 (gar nicht erfolgreich- sehr erfolgreich) bewerten. Bevor ich in der nächsten Stunde auf die Ergebnisse ihrer Hausaufgaben einging, erklärte ich ihnen das Krankheitsbild eines Alkoholikers, die 4 Phasen der Suchterkrankungen (nach E. Jellinek) sowie die 5 verschiedenen Trinker-Typen. Danach bat ich sie zum einen einzuschätzen, in welcher Suchtphase sich ihr Sohn befindet und zum anderen, welcher Trinker-Typ er ist. Während Gabi ihren Sohn als sogenannten Gamma-Alkoholiker (TT3) beschrieb, klassifizierte Peter seinen Sohn als sogenannten Delta-Trinker (TT4). Beide waren sich jedoch darin einig, dass das Suchtverhalten von Jonas der „Kritischen Phase“ (PH3) entsprach. Erst danach besprachen wir die Hausaufgaben der beiden, die verdeutlichten, wie wenig erfolgreich all ihre Versuche in der Vergangenheit gewesen waren. Auf meine Frage, ob sie dann eigentlich nicht alle weiteren Hilfsangebote einstellen könnten, regierten beide mit Ratlosigkeit. Gabi äußerte den Wunsch, von mir zielführende Hilfsangebote zu erfahren, um ihrem Sohn adäquat helfen zu können. Das war für mich die perfekte Überleitung zum Thema Co-Abhängigkeit.
Kurze Methodenerklärung: Um mit Suchterkrankungen umgehen zu können, muss man zuerst einmal das allgemeine Krankheitsbild und die einzelnen Suchtphasen verstehen, denn Sucht ist eine Krankheit. Die Sucht als Krankheit zu verstehen, entbindet den Suchtkranken jedoch nicht von seiner/ihrer Eigenverantwortung, bezüglich seiner/ihrer Heilung. Wie bei jeder anderen Erkrankung ist der Betroffene maßgeblich mit dafür verantwortlich, ob er/sie gesunden will und kann oder nicht. Dieser Umstand ist insbesondere bei Suchterkrankungen von großer Bedeutung, denn ohne den erklärten Willen des Erkrankten gesunden zu wollen, wird er/sie diese Krankheit nicht besiegen können. Die Hoffnung der Angehörigen, der Betroffene möge doch bitte für sie (den Partner, die Familie) mit dem Trinken aufhören, wird sich nicht erfüllen, denn erst die Einsicht des Betroffenen in seine/ihre Abhängigkeit, und die damit verbundenen körperlichen, seelischen und sozialen Konsequenzen, macht eine Heilung möglich. Demzufolge ist es für Angehörige von Suchterkrankten immens wichtig, sich ihrer eigenen Rolle innerhalb des Sucht-Systems bewusst zu werden. Man spricht hierbei von einer sogenannten Co- (Mit-) Abhängigkeit die, nicht reflektiert, das vorherrschende System von Abwehr, Verleugnung, Selbstbetrug, zunehmendem Kontrollverlust und Selbstzerstörung, seitens des Suchtkranken, begünstigt (aufrechterhält!).
Weiterer Coaching-Verlauf: Im Rahmen weiterer Sitzungen wurden sich Gabi und Peter zunehmend ihre Rollen als Co-Abhängige bewusst und sie verstanden nach und nach, warum ihr bisher gezeigtes Verhalten nicht zielführend war, sondern vielmehr das Suchtverhalten ihres Sohnes begünstigt hatte. Sie haben mit der Zeit gelernt, den Fokus weg von dem selbstzerstörerischen Verhalten ihres Sohnes, hin zu ihrem eigenen Verhalten zu lenken und in erster Linie für sich selbst zu sorgen. Gabi stellte ihre Unterstützung in Alltagsdingen und ihr Kontrollverhalten gegenüber Jonas schrittweise ein und Peter lernte, sich bewusst zu machen, in welchen Situationen ihm ein friedlicher Umgang mit seinem Sohn möglich ist, ohne, das es ihm dabei schlecht geht. Dadurch konnte er seine grundsätzliche Kontaktverweigerungshaltung (Abkapselung) aufgeben und es kam zwischen ihm und Jonas durchaus auch wieder zu aggressionsfreien Begegnungen. Nachdem Jonas jedoch durch seine Alkoholsucht seinen Ausbildungsplatz verloren hatte, zogen sie die Konsequenzen und haben ihn aufgefordert, auszuziehen und fürderhin für sich alleine zu sorgen. Eine für sie unfassbar schwere Entscheidung, die aber letztendlich mit dazu geführt hat, dass Jonas sich zu einem Entzug bereit erklärte. An einer der Coachingsitzungen haben auch die beiden Geschwister teilgenommen (Jonas hat die Einladung dazu nicht angenommen), wodurch erstmals ein offenes und ehrliches Gespräch zwischen diesen Familienmitgliedern zustande kam, welches von allen als sehr erhellend und entlastend empfunden wurde.
Anmerkung: Jede Form der Suchterkrankung ist für Partnerschaften/Familien sehr belastend und kann sich als absolut zerstörerisch, hinsichtlich der Beziehungen untereinander, erweisen. Alle noch so gut gemeinten Unterstützungen für den Abhängigen (z. B. nicht-altersgerechte Alltagshilfen, Vertuschung, Lügen, Suchtmittelbeschaffung, finanzielle Hilfen, Fahrdienste usw.) begünstigen die Aufrechterhaltung des Suchtverhaltens und entbinden den Betroffenen gleichzeitig von seiner Eigenverantwortung und wirken sich somit kontraproduktiv auf eine mögliche Heilung aus. Neben der Suchterkrankung des Betroffenen entsteht eine sogenannte Co-Abhängigkeit der Bezugspersonen, die wiederum weitere Krankheitsbilder bei den davon betroffenen Personen auslösen kann (z. B. Schlaf- und Essstörungen, Erschöpfungssyndrom, Depression, Angst- und Zwangsstörung usw.).
Co-Abhängigkeit selbst ist jedoch KEINE Krankheit und hat auch nichts mit „schuldhaftem“ Verhalten seitens der Bezugspersonen zu tun! Co-Abhängigkeit ist vielmehr ein sehr häufig gezeigtes Verhaltensmuster von Bezugspersonen und somit eine bekannte Begleiterscheinung innerhalb des Sucht-Systems.
Fazit: Jonas hat zuerst eine Entgiftung und danach eine Therapie (beides stationär) gemacht. In der Zwischenzeit haben Gabi und Peter entschieden, dass Jonas lediglich zeitlich begrenzt wieder zuhause einziehen darf und sich umgehend eine eigene Unterkunft und eine neue Arbeit/Ausbildung/Studium suchen muss. Zukünftig werden sie ihn nur noch unterstützen, wenn er trocken ist/bleibt und erkennbar die Verantwortung für sich und sein Leben übernimmt. Das Ganze war und ist ein langwieriger Prozess für alle Beteiligten und Gabi und Peter kommen von Zeit zu Zeit immer mal wieder in meine Beratung, die sie als unterstützende Begleitung/Auffrischung und Reflexionsmöglichkeit erleben und schätzen.